Brüder im Lande "Isratin"
Gaddafis logische Utopie Warum kein gemeinsamer jüdisch-palästinensischer Staat?
Im Nahen Osten kursiert seit geraumer Zeit wieder eine verblüffende Idee, diesmal lanciert durch einen notorischen Exzentriker. Als Alternative zum saudischen Friedensplan hat der libysche Revolutionsführer Gaddafi die Formel Israel plus Palästina gleich Isratin, sprich: die Bildung eines binationalen Staates, ins Gespräch gebracht. Für Isratin wäre Libyen sogar bereit, auf seinen Sitz in der Arabischen Liga zu verzichten, heißt es, sollte dadurch ein dauerhafter Frieden und ein Abzug sämtlicher Massenvernichtungswaffen aus der Region ermöglicht werden.
So utopisch es klingen mag, in einem "binationalen" Staat wären palästinensische Flüchtlinge aus den heutigen Autonomiegebieten keine Flüchtlinge mehr, und jüdische Siedler könnten vielfach weiter auf "verheißenem Land" leben, Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt bliebe nicht länger umstritten. Mit anderen Worten: Die größten "Friedenshindernisse" wären beseitigt. In einem gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Staat könnte sich der "jüdische Charakter" eines solchen Gebildes nicht mehr national - über eine jüdische Bevölkerungsmehrheit - definieren, sondern nur religiös, durch einen jüdischen Geist der Brüderlichkeit.
"Wo ein solches Denken aufkeimt ... "
"In der jüdischen Tradition hängen das Heilige sowie die Vorstellung der göttlichen Verheißung vom sittlichen Verhalten der Menschen ab - nicht vom inneren Wert eines Fleckchens Erde, wo immer das sei", sagt der Rabbiner David Meyer aus Tel Aviv und fragt, ob eine Vergötzung des Staates Israel nicht eine "neue Form des Götzendienstes" darstelle, vor dem die Thora warnt, weil das eine Gefahr für die jüdische Existenz im Lande Israel sei. Als die "zwei Brüder im Lande Kanaan" aufeinander zugingen und einander etwas von ihrem Überfluss brachten, wurden sie von Gott belohnt, zitiert Meyer weiter, "... wo ein solches Denken aufkeimt, da will ich meinen Tempel errichten".
Der jüdischen Tradition einer moralischen Verantwortung hat sich in Israel die Vereinigung Rabbis für Menschenrechte verschrieben. Sie entstand 1988 als Reaktion auf das Vorgehen israelischer Militärs während der ersten Intifada. Jeremy Milgrom, einer der Begründer, meint, die Natur der Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern im Gelobten Land lasse sich inzwischen nur noch als Kolonisation beschreiben. Wirkliche Gleichberechtigung ermögliche nur ein gemeinsamer Staat. Eine Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge in ihre Heimat betrachtet Milgrom denn auch als ein Eingeständnis der Schuld Israels. Für einen Frieden sei das unabdingbar, der Rabbiner übertrifft damit die Konzessionsbereitschaft der israelischen Linken gewaltig.
Die erste Intifada sieht Marc Ellis - ebenfalls Binationalist und aus der gleichen Vereinigung wie Milgrom - als eine Karthasis, die dazu führte, eine "jüdische Befreiungstheologie" zu entwickeln, deren Sinn es war, die universale ethische Dimension des Judentums zu entfalten: in Solidarität mit allen Leidenden der Welt wie im Bemühen um eine "Befreiung" des palästinensischen Volkes. Ellis glaub, in den Gesichtern der Palästinenser die Zukunft dessen lesen zu können, "was es bedeutet, Jude zu sein."
In seinem Brief an einen zionistischen Freund geht der Historiker Zevei Wolf sogar soweit, Israel in seiner jetzigen Verfassung als "vollkommen un-jüdisch" zu kritisieren: "Weil Zionismus nichts weiter ist als ein Spiegelbild des europäischen Rassismus und Antisemitismus des 19.Jahrhunderts, verbunden mit der Theorie, dass nicht-europäische Völker ihrer Selbstbestimmung nicht würdig seien und den zivilisierenden Einfluss Europas zu ihrem eigenen Besten bräuchten". Das sei aber nicht das, was das Judentum verkünde, es strebe im Gegensatz zum Zionismus "nicht nach Unterdrückung und Herrschaft ..." Der Autor erinnert an die kolonialen Züge des politischen Zionismus, wie sie in Theodor Herzls Schrift Der Judenstaat zum Ausdruck kommen: "Wir sollten in Palästina ein europäisches Bollwerk gegen Asien bauen, einen Vorposten der Zivilisation gegen das Barbarentum".
"... da will ich meinen Tempel errichten"
Paradoxerweise könnte ein gemeinsamer binationaler Staat, gerade durch das Rückkehrrecht der Palästinenser, arabischer und jüdischer zugleich werden, weil brüderlicher und gerechter. Auch Hannah Arendt war eine Anhängerin des Binationalismus in der Tradition Martin Bubers und Judah Magnes´. Beide waren religiös, Zionisten und Binationalisten - beide waren gegen die Ausrufung eines jüdischen Staates, weil sie fürchteten, er würde den Vertreibungszyklus fortführen, dessen Ende sie herbeisehnten. "Es verschlimmerte die Wunden des Holocaust, wenn solche Dinge wie die Vertreibung der Palästinenser im Namen der Juden begangen werden konnten, und der Zyklus der Vertreibung durch diejenigen fortgesetzt wurde, die sich gegen das Leiden der Juden auflehnten", argumentiert Marc Ellis. Die Alternative sei eine Aussöhnung der Brüder im Lande Isratin.
Der UN-Gesandte Terje Roed-Larsen resümierte kürzlich: "Israels Operation Schutzschild mag die physische Infrastruktur des Terrors zerschlagen haben, doch die ist leicht regenerierbar ist. Währenddessen baut die geistige Infrastruktur des Terrors eine Gesinnung von Hass und Konfrontation auf, die sehr viel schwerer rückgängig zu machen sein wird."
Arafat und Sharon als Brüder im Lande Isratin? Erst ihre Nachfolger werden wohl fähig sein, ihren erschöpften Völkern eine überzeugende Perspektive zu geben. Warum sollte die nicht in eine völlig neue Richtung weisen und mit der Vision von einem gemeinsamen Staat umgehen können? Wenn sich das Modell einer kategorischen Trennung als verheerender Irrtum erwiesen hat, welche Variante bleibt dann noch? Ob Gaddafi auch schon die Flagge entworfen hat?
Die Autorin lebt als Publizistin und Fotografin in New York und hat in palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon und in Syrien gearbeitet.
So utopisch es klingen mag, in einem "binationalen" Staat wären palästinensische Flüchtlinge aus den heutigen Autonomiegebieten keine Flüchtlinge mehr, und jüdische Siedler könnten vielfach weiter auf "verheißenem Land" leben, Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt bliebe nicht länger umstritten. Mit anderen Worten: Die größten "Friedenshindernisse" wären beseitigt. In einem gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Staat könnte sich der "jüdische Charakter" eines solchen Gebildes nicht mehr national - über eine jüdische Bevölkerungsmehrheit - definieren, sondern nur religiös, durch einen jüdischen Geist der Brüderlichkeit.
"Wo ein solches Denken aufkeimt ... "
"In der jüdischen Tradition hängen das Heilige sowie die Vorstellung der göttlichen Verheißung vom sittlichen Verhalten der Menschen ab - nicht vom inneren Wert eines Fleckchens Erde, wo immer das sei", sagt der Rabbiner David Meyer aus Tel Aviv und fragt, ob eine Vergötzung des Staates Israel nicht eine "neue Form des Götzendienstes" darstelle, vor dem die Thora warnt, weil das eine Gefahr für die jüdische Existenz im Lande Israel sei. Als die "zwei Brüder im Lande Kanaan" aufeinander zugingen und einander etwas von ihrem Überfluss brachten, wurden sie von Gott belohnt, zitiert Meyer weiter, "... wo ein solches Denken aufkeimt, da will ich meinen Tempel errichten".
Der jüdischen Tradition einer moralischen Verantwortung hat sich in Israel die Vereinigung Rabbis für Menschenrechte verschrieben. Sie entstand 1988 als Reaktion auf das Vorgehen israelischer Militärs während der ersten Intifada. Jeremy Milgrom, einer der Begründer, meint, die Natur der Beziehungen zwischen Juden und Palästinensern im Gelobten Land lasse sich inzwischen nur noch als Kolonisation beschreiben. Wirkliche Gleichberechtigung ermögliche nur ein gemeinsamer Staat. Eine Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge in ihre Heimat betrachtet Milgrom denn auch als ein Eingeständnis der Schuld Israels. Für einen Frieden sei das unabdingbar, der Rabbiner übertrifft damit die Konzessionsbereitschaft der israelischen Linken gewaltig.
Die erste Intifada sieht Marc Ellis - ebenfalls Binationalist und aus der gleichen Vereinigung wie Milgrom - als eine Karthasis, die dazu führte, eine "jüdische Befreiungstheologie" zu entwickeln, deren Sinn es war, die universale ethische Dimension des Judentums zu entfalten: in Solidarität mit allen Leidenden der Welt wie im Bemühen um eine "Befreiung" des palästinensischen Volkes. Ellis glaub, in den Gesichtern der Palästinenser die Zukunft dessen lesen zu können, "was es bedeutet, Jude zu sein."
In seinem Brief an einen zionistischen Freund geht der Historiker Zevei Wolf sogar soweit, Israel in seiner jetzigen Verfassung als "vollkommen un-jüdisch" zu kritisieren: "Weil Zionismus nichts weiter ist als ein Spiegelbild des europäischen Rassismus und Antisemitismus des 19.Jahrhunderts, verbunden mit der Theorie, dass nicht-europäische Völker ihrer Selbstbestimmung nicht würdig seien und den zivilisierenden Einfluss Europas zu ihrem eigenen Besten bräuchten". Das sei aber nicht das, was das Judentum verkünde, es strebe im Gegensatz zum Zionismus "nicht nach Unterdrückung und Herrschaft ..." Der Autor erinnert an die kolonialen Züge des politischen Zionismus, wie sie in Theodor Herzls Schrift Der Judenstaat zum Ausdruck kommen: "Wir sollten in Palästina ein europäisches Bollwerk gegen Asien bauen, einen Vorposten der Zivilisation gegen das Barbarentum".
"... da will ich meinen Tempel errichten"
Paradoxerweise könnte ein gemeinsamer binationaler Staat, gerade durch das Rückkehrrecht der Palästinenser, arabischer und jüdischer zugleich werden, weil brüderlicher und gerechter. Auch Hannah Arendt war eine Anhängerin des Binationalismus in der Tradition Martin Bubers und Judah Magnes´. Beide waren religiös, Zionisten und Binationalisten - beide waren gegen die Ausrufung eines jüdischen Staates, weil sie fürchteten, er würde den Vertreibungszyklus fortführen, dessen Ende sie herbeisehnten. "Es verschlimmerte die Wunden des Holocaust, wenn solche Dinge wie die Vertreibung der Palästinenser im Namen der Juden begangen werden konnten, und der Zyklus der Vertreibung durch diejenigen fortgesetzt wurde, die sich gegen das Leiden der Juden auflehnten", argumentiert Marc Ellis. Die Alternative sei eine Aussöhnung der Brüder im Lande Isratin.
Der UN-Gesandte Terje Roed-Larsen resümierte kürzlich: "Israels Operation Schutzschild mag die physische Infrastruktur des Terrors zerschlagen haben, doch die ist leicht regenerierbar ist. Währenddessen baut die geistige Infrastruktur des Terrors eine Gesinnung von Hass und Konfrontation auf, die sehr viel schwerer rückgängig zu machen sein wird."
Arafat und Sharon als Brüder im Lande Isratin? Erst ihre Nachfolger werden wohl fähig sein, ihren erschöpften Völkern eine überzeugende Perspektive zu geben. Warum sollte die nicht in eine völlig neue Richtung weisen und mit der Vision von einem gemeinsamen Staat umgehen können? Wenn sich das Modell einer kategorischen Trennung als verheerender Irrtum erwiesen hat, welche Variante bleibt dann noch? Ob Gaddafi auch schon die Flagge entworfen hat?
Die Autorin lebt als Publizistin und Fotografin in New York und hat in palästinensischen Flüchtlingslagern im Libanon und in Syrien gearbeitet.