02.08.2018
»Ghana steht der ökologische Kollaps bevor« | ||
Welcome to Sodom ist eine bildgewaltige, apokalyptische Doku über Europas größte Elektromüllhalde – mitten in Ghana. |
Der Filmemacher Florian Weigensamer über seinen Film Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon da, die dunkle Seite unserer elektronischen Glitzerwelt, recycelte Frankenstein-Computer und Kultur als „last frontier“ der Menschlichkeit.
Das Gespräch führte Sabine Matthes
Agbogbloshie, ein Stadtteil der Millionenmetropole Accra in Ghana, ist Europas größte Elektromüllhalde – mitten in Afrika. Einer der giftigsten Orte der Erde. Von den 6.000 Männern, Frauen und Kindern, die dort zwischen fauchenden Feuern und schwarzen Rauchschwaden leben und arbeiten, wird er „Sodom“ genannt. Jedes Jahr landen dort etwa 250.000 Tonnen ausrangierte Computer, Smartphones, Drucker und anderer Elektroschrott aus unserer fernen elektrifizierten und digitalisierten Ersten Welt – allesamt illegal nach Ghana verschifft. Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon da zeigt in gespenstisch-schönen Bildern diesen postapokalyptischen Ort als Metapher unserer Wegwerfkultur. Aber auch als lebendige, pulsierende Recycling-Werkstatt voller Kreativität und Hoffnung.
Artechock: Welche Bedeutung hat die mythische Geschichte vom Chamäleon gleich am Anfang Ihres Films?
Florian Weigensamer: Dieser Schöpfungsmythos ist in verschiedenen Abwandlungen und Varianten an Afrikas Ostküste zu finden. Das Chamäleon als Bote der Götter wurde auf die Erde gesandt, um zu sehen, ob die Menschen recht lebten. Weil es sich so unauffällig bewegt, weil es seine Augen überall hinrichten kann. Als es den Göttern berichtet, dass die Menschen weder Land, Tiere noch einander achteten, bestraften die Götter die Menschen und entzündeten ein Feuer, das so groß und mächtig war, dass es in alle Ewigkeit brennen sollte. Und die Menschen sollten dazu verdammt sein, das Feuer zu nähren, in dem Tag für Tag ihre Träume und Hoffnungen verbrennen sollten.
Diese Geschichte passt ganz genau auf diesen Ort. Sie vereint den Schöpfungsmythos mit der in unserer Kultur als Paradies und Sündenfall bekannten Überlieferung. Auch wenn in der Realität natürlich die Falschen bestraft werden. Denn es ist ja unser Sündenfall. Die Strafe würde ja uns gebühren. Aber wir wollen mit dem Film nicht mit dem erhobenen Zeigefinger belehren. Wir wollen nur zeigen. Wir müssen trachten, ein Bewusstsein zu schaffen. Denn wenn alle Menschen bei uns wüssten, wie unsere Konsumgüter entstehen, wie viel Leid und Ungerechtigkeit in jedem einzelnen Teil steckt, dann würden sie auch ganz automatisch bewusster handeln. Wissen war schon immer der richtige Weg!
Diese Geschichte passt ganz genau auf diesen Ort. Sie vereint den Schöpfungsmythos mit der in unserer Kultur als Paradies und Sündenfall bekannten Überlieferung. Auch wenn in der Realität natürlich die Falschen bestraft werden. Denn es ist ja unser Sündenfall. Die Strafe würde ja uns gebühren. Aber wir wollen mit dem Film nicht mit dem erhobenen Zeigefinger belehren. Wir wollen nur zeigen. Wir müssen trachten, ein Bewusstsein zu schaffen. Denn wenn alle Menschen bei uns wüssten, wie unsere Konsumgüter entstehen, wie viel Leid und Ungerechtigkeit in jedem einzelnen Teil steckt, dann würden sie auch ganz automatisch bewusster handeln. Wissen war schon immer der richtige Weg!
Warum wollten Sie Ihrem Dokumentarfilm damit auch eine symbolisch-fiktionale Ebene geben?
Weigensamer: Einen fiktionalen Einstieg haben wir auch deshalb gewählt, weil dieser Ort wirklich nicht real anmutet. Es ist ein Ort außerhalb unserer Welt, sogar außerhalb unserer Vorstellung. Das Chamäleon ist in Ostafrika mit vielen Mythen verbunden, war aber früher auch real überall in freier Wildbahn zu beobachten. Heute sind die Chamäleons, wie auch die meisten anderen Tiere aus den Wäldern und Grasländern Ghanas, fast schon gänzlich verschwunden. Durch Jagd, durch Abholzung, durch das Goldwaschen mit Quecksilber im Dschungel.
Man muss bedenken, Agbogbloshie, dieser vergiftete Ort, an dem heute diese Müllhalde wuchert, war vor nicht einmal 20 Jahren noch eine grüne Lagune, tatsächlich ein Naturparadies.
Insofern ist das Chamäleon nicht nur durch die Fähigkeit sich zu wandeln, seine mythologische Besetzung als Späher der Götter, sondern auch real durch seine Ausrottung ein Symbol speziell für diesen Ort. Und sogar die Mythen, die Geschichten, die sich um das Chamäleon ranken, geraten mehr und mehr in Vergessenheit. Werden verdrängt von europäischen Erzählungen, europäischem – nicht immer besonders wertvollem – Kulturgut, das in den Computern und Smartphones mitgeliefert wird. So wie das tatsächliche Paradies wird auch das mythologische vernichtet. Es versinkt unter Haufen von Monitoren und ausrangierten Computerteilen.
Man muss diese Geschichte ja eigentlich vor allem den Menschen hier in Europa erzählen. Denn schließlich sind ja wir für diese ökologische, soziale und kulturelle Vernichtung verantwortlich.
Um keine gesundheitlichen Schäden zu nehmen, sollte man sich höchstens zwei Stunden in Sodom aufhalten. Wie konnten Sie dennoch in diesen Mikrokosmos eintauchen und das Vertrauen der Menschen gewinnen?
Weigensamer: Natürlich ist Sodom ein Ort, an dem man sich nicht lange aufhalten sollte. Die giftigen Dämpfe in der Luft, der verseuchte Boden, der allgegenwärtige Rauch aus verbranntem Plastik und Metall sind sicher Grund genug, um sich nicht lange, oder besser gar nicht in Sodom aufzuhalten. Wir waren insgesamt drei Monate dort, haben mit den Menschen dort gearbeitet, mit ihnen ihren Alltag geteilt. Auch für uns war das natürlich ein gesundheitliches Risiko, dem wir uns aussetzen mussten, aber eben ein zeitlich begrenztes. Die Menschen dort verbringen Tag für Tag, ihr ganzes Leben in dieser giftigen Umgebung. Dazu kommt das verseuchte Wasser, das zum Teil verdorbene Essen, Seuchen wie Cholera – speziell in der Regenzeit.
Es hat einige Zeit gebraucht, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Wichtig war, dass wir ihnen auf Augenhöhe begegnet sind. Wir haben versucht, unseren europäischen Blick auf die Dinge vor Ort abzulegen und ihre Perspektive auf diesen Ort, auf das Leben zu entdecken. Anfangs war das schwierig, weil als weißer Europäer mit Kameraequipment agiert man dort ja nicht gerade unauffällig. Da gab es schon viel Misstrauen und Skepsis. Aber nachdem wir jeden Tag aufs Neue wieder da waren, hat sich diese Distanz nach einigen Wochen in Neugier verwandelt. Die Menschen wollten wissen: was wollen die eigentlich hier. Und nachdem sie erkannt haben, dass wir sie nicht benutzen wollen, aus ihren Geschichten keinen Profit schlagen wollen, sondern uns ernsthaft auf Augenhöhe – diese Augenhöhe ist sehr wichtig – mit ihren Geschichten auseinandersetzen, sind dann immer mehr Leute auf uns zugekommen und haben uns ihre Geschichten, von ihrem Leben erzählt. Diese Menschen und ihr Schicksal werden leider oft tatsächlich von Journalisten auf der Suche nach einer schnellen sensationellen Story, aber auch von NGOs, die nur ihrem Eigeninteresse nach handeln, missbraucht.
Einer Ihrer Protagonisten ist ein Rapper, der sich aus dem Schrott in einem Holzverschlag ein improvisiertes Tonstudio zusammengebastelt hat. Er besingt das, was für uns wie eine beklemmende Science-Fiction-Dystopie aussieht, als „Freedom Country“. Woher kommt diese völlig unterschiedliche Wahrnehmung?
Weigensamer: Der Erfindungsgeist und die Improvisationsgabe dieser Menschen ist beeindruckend. Ohne Grundkenntnisse werden dort drei, vier, fünf kaputte Computer in ihre Einzelteile zerlegt, analysiert und anschließend wieder zu einem funktionstüchtigen „Frankenstein-Computer“ zusammengebaut. So ist zum Beispiel ein komplettes Tonstudio, mitten auf der Müllhalde, entstanden. Aus vielen recycelten Einzelteilen, irgendwo hat man die passende Software dazu gefunden – und dann heißt es „learning by doing“. Das ist eine Gabe, eine Kreativität, ein Antrieb – das haben wir schon lange verloren. Bei uns kauft man einfach ein neues Gerät. Das ist ja auch einfacher.
Auch hier gibt es wieder unsere europäische Perspektive auf den Ort – uns erscheint er als apokalyptisches Untergangsszenario, als Endstation – sowohl für den Elektroschrott, als auch für jedes Leben. Für die Menschen dort ist es aber etwas ganz anderes, nämlich ein Ort der Hoffnung. Ein Ort, wo es tatsächlich Arbeit gibt – sei sie noch so hart, dreckig und ungesund. Für seine Bewohner ist Sodom ein Ort der Chancen, der Zukunft. Sie sind aus dem ganzen Land, ja sogar aus den umliegenden Ländern hierhergekommen, auf der Suche nach einer Chance, auf der Suche nach einer Perspektive. Sodom ist ein Ort der Hoffnung.
Auch ein fanatischer christlicher Prediger und ein homosexueller Flüchtling aus Gambia haben ausgerechnet in Sodom ihr Refugium gefunden. Wieso?
Weigensamer: Sodom ist ein Ort für sich, ein Ort, an dem Behörden, Polizei, Stadtverwaltung nichts zu sagen haben. Die Leute hier organisieren sich selbst, sind autonom. Ein wenig wie ein Staat im Staat. Deshalb zieht Sodom auch die unterschiedlichsten Menschen an, die zum Teil auch auf der Flucht sind, oder sich hier verstecken. Etwa einen homosexuellen Flüchtling aus Gambia, dem in seinem Heimatland die Todesstrafe droht, der aber auch in Ghana nicht sicher ist. Denn Homosexualität ist immer noch illegal. In Sodom ist er sicher, solange er sich ruhig verhält. Wie er selbst sagt: Hier stellt man keine Fragen.
Oder einen katholischen Prediger, der auf den ersten Blick verrückt erscheint. Tagtäglich predigt er lautstark den Bewohnern von Sodom, die allesamt Muslime sind. Für mich ist er eine Art shakespearsche Figur: der weise Idiot. Die Menschen dort belächeln ihn zwar und keiner hört ihm zu – aber, sie füttern ihn durch, geben ihm zu essen. Auch das ein Beispiel, wie organisiert diese Gesellschaft ist, wie sozial und wie stark ihr Zusammenhalt.
Hinter scheinbarem Chaos und Anarchie haben Sie Ordnung und Hierarchie entdeckt. Wie funktioniert das Zusammenleben und Arbeiten in Sodom?
Weigensamer: Der erste Eindruck, den man von dieser Müllhalde hat, ist natürlich: reines Chaos. Überall brennen Feuer, überall liegt Müll und Dreck, es herrscht hektisches Treiben. Erst nach einiger Zeit erkennt man, dass hier alles andere als Chaos herrscht. Es gibt eine Ordnung, die durchaus mit unserer vergleichbar ist. Alles gehört jemandem. Jeder Gegenstand hat seinen Sinn, seinen Platz, liegt nicht zufällig herum. Auch die Arbeit ist in höchstem Maße organisiert. Jeder hat seinen Bereich. So darf etwa nicht jeder Kupferkabel verbrennen – dafür gibt es eine bestimmte Gruppe von jungen Männern, die zuständig sind. Frauen hingegen verkaufen Wasser und Essen. Andere wieder zerlegen die Computer, mit Hammer und Meißel, trennen die Metalle.
Auch gibt es ganz klare gesellschaftliche Strukturen. Es herrscht eine gesellschaftliche Ordnung, die durchaus der unseren ähnlich ist. Es werden Chiefs gewählt, die wiederum die Interessen der jeweiligen Gruppen vertreten, es gibt Versammlungen. Und es gibt Feste. Das war für uns eine der faszinierendsten Erkenntnisse – dass die Menschen an so einem Ort, der auf uns wie eine chaotische Hölle wirkt, gerade in diesem Chaos, diesem Durcheinander, diesem Dreck, wo immer sie können ein Stück Kultur entgegensetzen. Ich denke, Kultur ist letztlich das, was uns Menschen ausmacht. Kultur ist die „last frontier“ der Menschlichkeit. Deshalb wird sie auch dort ganz besonders hochgehalten.
Die europäische Schrottlawine hat das ehemals fruchtbare Lagunengebiet mit Flamingo-Kolonien in eine giftige Hölle verwandelt. Im Netz der Fischer am Odor-River und dem nahen Atlantik verfangen sich nur noch PC-Teile. Welchen Schaden nehmen Mensch und Natur durch die Mülldeponie?
Weigensamer: Die Auswirkungen der Halde auf die Umwelt sind unabschätzbar. Man muss ja bedenken, Sodom liegt inmitten von Accra, einer wuchernden Millionenstadt. Der Fluss der Lagune mündet ein paar hundert Meter weiter ins Meer. Die Gifte verteilen sich nicht nur lokal, sondern durch den Ozean entlang der gesamten Westküste. Die Netze der Fischer bleiben schon lange leer. Das mag einerseits an der Überfischung durch europäische und chinesische Trawler liegen, ist aber sicher auch der Verschmutzung geschuldet. Wir haben im Volta-Delta, 130 Kilometer von Sodom entfernt, Fischer beobachtet, die Computerteile, Plastikreste aus ihren Netzen holen. Ich denke, die Dimension dieser Verschmutzung ist nicht überschaubar. Vor allem, weil es ja einige derartige Elektroschrott-Müllhalden in Afrika, aber auch in Asien gibt.
Sie diagnostizieren für Ghana einen bevorstehenden ökologischen Kollaps. Wie haben Sie das Land außerhalb von Accra erlebt?
Weigensamer: Wir waren wirklich schockiert, als wir durchs Land reisten, durch eine Kulisse, die eigentlich voller Leben sein sollte. Die aber wie ausgestorben war. Das Land war, wie auch die Lagune der Müllhalde, einmal ein Naturparadies. Heute ist davon nicht mehr viel zu sehen. Es gibt keine Tiere mehr, nicht mal Vögel sind zu sehen. Die Verschmutzung durch den Abbau von Öl, Gold und anderen Metallen ist in keinster Weise geregelt, wird oft mit giftigen Chemikalien wie Quecksilber betrieben. Die Menschen am Land, die sich jahrhundertelang von Ackerbau und Fischfang ernährt haben, verlieren ihre Lebensgrundlage (und ziehen nach Sodom). Das Meer ist leergefischt und verschmutzt. Fischer holen nur mehr Quallen aus ihren Netzen. Die sie dann aufschneiden und die halbverdauten Fische aus deren Mägen nehmen. Ghana steht nicht nur der ökologische, sondern auch der gesellschaftliche Kollaps bevor. Und auch dafür ist unsere Luxus-, unsere Wohlstands- und Wegwerfgesellschaft verantwortlich. Denn es ist ja durchaus im Interesse europäischer und amerikanischer Regierungen und Konzerne, in Ländern wie Ghana korrupte Regierungen an der Macht zu halten. Denn mit denen kann man profitable Geschäfte machen. Und gleichzeitig verstecken wir uns hinter dem Feigenblatt der Entwicklungshilfe.
Diese Menschen, diese Gesellschaften brauchen weder unsere Hilfe noch unser Mitleid. Wir müssen sie ernst nehmen, ihnen auch in ökonomischer Hinsicht auf Augenhöhe begegnen. Aber der erste Schritt in die richtige Richtung wäre wahrscheinlich, aufzuhören sie auszubeuten.
Ich denke, der ganze Kontinent versinkt in unserem (europäischen) Dreck. Wenn ich da nur an die Umweltverschmutzungen durch die Erdölförderung denke, etwa in Nigeria, aber eben auch in Ghana. Insofern ist unser Film ja nicht nur ein Film über diesen Ort, sondern erzählt auch von einer viel globaleren Situation.
Gibt es in Ghana ein Engagement für Umweltschutz?
Weigensamer: Ein Umweltbewusstsein ist in Ghana kaum vorhanden. Wenn, dann nur in einer sehr dünnen, gebildeten Gesellschaftsschicht, meist Leute, die einige Zeit im Ausland gelebt haben. Aber ich möchte das nicht so klingen lassen, als wäre das ein Vorwurf an die Bevölkerung, wer denkt schon an die Umwelt, wenn es um das Essen für den nächsten Tag geht. Das kann man niemandem vorwerfen, außer den korrupten Administrationen und natürlich uns, die wir diese Situation fördern. Denn unsere Luxus-, Konsum- und Wegwerfgesellschaft bedingt diesen Ort „Sodom“.
Der globale Müllberg wächst jedes Jahr um etwa 45 Millionen Tonnen Elektroschrott. In Europa wird nur ein Drittel ordnungsgemäß entsorgt. Verbietet das Basler Übereinkommen (1989) und die Bamako-Konvention (1991) nicht den Export/Import von Elektroschrott in Länder wie Ghana?
Weigensamer: Absurderweise – oder bezeichnenderweise, je nach Tiefe der Betrachtung – ist der ganze illegale E-Waste-Handel aus einem Entwicklungshilfe-Projekt entstanden. Anfang der 2000er Jahre wurden gebrauchte Computer nach Ghana verschifft. Da die Entsorgung solcher Geräte bei uns sehr teuer ist, haben findige Geschäftsleute dieses Modell ein wenig in ihrem Sinne adaptiert. Da es dem Zoll natürlich unmöglich ist, jeden einzelnen Computer, jeden Fernseher, jedes Smartphone auf Tauglichkeit zu überprüfen, ging man dazu über, auch kaputte Geräte als gebraucht zu deklarieren und so billig in Ghana zu entsorgen. Das Ganze ist mittlerweile zu einem Milliardengeschäft geworden, hinter dem natürlich mafiöse Strukturen stecken.
Der Gipfel der Skrupellosigkeit ist aber, dass die Menschen in Sodom diesen Schrott ja noch nicht einmal gratis bekommen. Sie müssen ihn kaufen! Und sozusagen darauf wetten, dass der Wert der Metalle den Kaufpreis übersteigt. So verdient man sogar in beide Richtungen – man lässt sich in Europa die Entsorgung abgelten und in Afrika verdient man nochmals daran.
Als John Dunlop 1888 den Gummireifen erfand, wurde der dafür nötige Kautschuk im Auftrag des belgischen Königs Leopold II. buchstäblich aus dem Kongo herausgepresst, mit bis zu zehn Millionen Toten. In den letzten 20 Jahren hat der Kongo-Krieg um die wichtigsten Vorkommen vieler Hightech-Rohstoffe wie Coltan bereits über sechs Millionen Tote gefordert. In Ghana, in Sodom, scheint sich unser Kreislauf der Zerstörung zu schließen.
Weigensamer: Man hätte diese Geschichte auch über jedes andere Luxusprodukt, jedes andere unserer Konsumgüter erzählen können. Denn das Prinzip ist das gleiche, das System ist global und das Problem systemimmanent.
Das Groteske dieses Elektronik-Friedhofs und seiner Lebensfreude erinnert an Fernando Arrabals Theaterstück „Autofriedhof“. In einer verrotteten Welt des Unrats und ohne ethische Maßstäbe wird dort das Streben nach dem Guten zum tragisch-absurden Unterfangen. Ist Welcome to Sodom auch absurdes Theater?
Weigensamer: Absurd sind leider die Lösungsansätze, die von manchen Seiten kommen. So fordern NGOs schlicht und einfach die Schließung der Halde. Das ist gut gemeint, aber kurz gedacht. Wo sollen denn die Menschen hin? Löst man so das Problem? Das Problem ist nun mal durch die Globalisierung entstanden und kann daher auch nur global gelöst werden. Es ist insofern ein absurder, aussichtsloser Kampf, wenn wir ihn auf diesen Ort beschränken. Nur ein Umdenken im Großen kann zu einer Lösung führen. Das kann natürlich, so unangenehm das ist, nur ein langfristiger Prozess bewirken. Wir müssen uns einfach einige Fragen stellen. Und je unangenehmer diese Fragen sind oder werden, umso eher wird dieser Prozess einsetzen. Filme haben noch nie die Welt verändert. Aber wir hoffen, mit Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon da vielleicht einen kleinen Mosaikstein zu einem neuen Bild der Welt beigetragen zu haben. Denn wer alle sechs Monate ein neues glitzerndes elektronisches Accessoire braucht, der muss auch die dunkle Seite kennen.