Leserbrief zum Interview Thorsten Schmitz mit David Grossman: "Daheim in der Trutzburg", SZ vom 23./24. 6. 2018, Seite 18

Leserbrief zum Interview Thorsten Schmitz mit David Grossman: "Daheim in der Trutzburg", SZ vom 23./24. Juni 2018, Feuilleton Literatur Seite 18

Sehr geehrte Redaktion Leserbriefe,

Die unglaubliche Chuzpe, mit der Thorsten Schmitz und David Grossman in ihrem Interview um das Wesentlichste herum drucksen, ist empörend. Da hat Israel in den letzten Wochen am Gazastreifen Grenzzaun weit über Hundert Demonstranten erschossen und Tausende verletzt, aber anstatt das zu thematisieren, empört sich Grossman über die Bilder aus den USA, "wo Kinder von ihren Eltern an der Grenze getrennt wurden." Immerhin sichern die USA ihre Grenze gegen illegale Immigranten, während Israel seine Grenze gegen seine eigenen Flüchtlinge verteidigt: diejenigen Palästinenser die Israel selbst im Zuge seiner Staatsgründung 1948 vertrieben, enteignet, entrechtet und ausgebürgert hat. 70 % der zwei Millionen Palästinenser im Gazastreifen sind Flüchtlinge. Wie Rohingyas und alle anderen Flüchtlinge haben sie ein von UNO und Menschenrechten verbrieftes Recht auf Rückkehr in ihre Heimat - was Israel ihnen aber verweigert und sie als "feindliche Eindringlinge" kriminalisiert und beschießen lässt. Dass Grossman Angela Merkels Flüchtlingspolitik lobt, "die Grenzen nicht zu schließen", die Flüchtlingspolitik seines eigenen Landes aber mit keinem Wort kritisiert, zeigt die Unglaubwürdigkeit seines Anspruchs, "nicht in einer Trutzburg leben" zu wollen. Wenn Grossman für Offenheit und Empathie gegenüber Flüchtlingen wirbt, hätte Thorsten Schmitz nachfragen müssen, wie er es mit den eigenen palästinensischen Flüchtlingen hält. Sie werden im Gazastreifen gefangen gehalten, wie die Oppositionellen auf Robben Island im ehemaligen Apartheid-Südafrika. Solange Grossman Ursache und Lösung des Israel/Palästina Konflikts nur in der Besatzung von 1967 sieht, nicht aber in der ethnischen Säuberung von 1948 und dem Flüchtlingsproblem, kann er keine gerechte Lösung sehen. Ein Interview mit Ilan Pappé, einem der bekanntesten israelischen Neuen Historiker und Oppositionellen, würde da wesentlich mehr beitragen zum Verständnis über Wurzeln und Lösungen des Konflikts.

Mit freundlichen Grüßen,
Sabine Matthes
Glötzleweg 43
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