(Veröffentlichter) Leserbrief zu Felix Stephan, Aachener Kunstpreis: "Schweigen ist Gold", SZ vom 2./3.10.2019, Deutsch-Arabische Gesellschaft, 07.10.2019

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Leserbrief zu Felix Stephan, Aachener Kunstpreis: "Schweigen ist Gold", SZ vom 2./3.10.2019, Seite 13



Sehr geehrte Redaktion Leserbriefe,
auf die Kontroverse zur Aachener Kunstpreisverleihung an den libanesisch-amerikanischen Künstler Walid Raad antwortet Felix Stephan ("Schweigen ist Gold") mit einer Aufforderung zum Schweigen und zur Gesinnungskontrolle. Die Folgen kennt man - aus den dunklen Zeiten der Hexenjagd gegen Kulturschaffende während der amerikanischen McCarthy-Ära oder der deutschen Diktaturen. Nach Stephans Meinung sollten sich deutsche Jurys vorher "informieren, in welche Debattenräume sie sich durch ihre Nominierungen unweigerlich begeben." Eine Kunstpreis-Jury sollte also den Nahostkonflikt beurteilen und die Gesinnung des Künstlers - aber nicht sein Talent? Besonders verwegen ist zudem die Annahme, dass ausgerechnet eine deutsche Kunstpreis-Jury den Nahostkonflikt besser beurteilen könnte, als ein gebürtiger Libanese, den der Konflikt so hautnah betrifft, dass er ihn seit Jahren in seinem Hauptwerk thematisiert. Für Felix Stephan ist "die Sprecherposition entscheidend": "Wenn etwa amerikanische Juden Netanjahus Likud-Partei kritisieren", ist es für ihn erträglich - nicht aber wenn amerikanische Araber oder Deutsche dies tun. Letzteren rät er, sich an allen Ecken des Planeten für Menschenrechte zu engagieren - außer für die Palästinenser. Dabei scheint vergessen: Die Deutschen haben den Holocaust begangen, nicht die Palästinenser. Die Wiedergutmachung aber fand im Nahen Osten statt, auf Kosten der Palästinenser. Seit 1948 wurde die Mehrheit von ihnen vertrieben, enteignet, entrechtet und ausgebürgert. Während Herr Stephan und jeder Deutsche Israel/Palästina jederzeit besuchen kann, dürfen sie ihre Heimat weder besuchen noch dort hin zurückkehren. Wer dazu schweigt scheint sich seiner eigenen historischen Schuld auf Kosten anderer entledigen zu wollen. 
Mit freundlichen Grüßen
Sabine Matthes, München