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Der wandelbare Körper
Von Sabine MatthesSamuel Fosso, Museum der Moderne, Salzburg, bis 10. April 2023
Erste Schritte
Als Sohn nigerianischer Eltern wurde Samuel Fosso 1962 in Kamerun geboren, wuchs aber bei den Großeltern in Nigeria auf. Als der Biafrakrieg 1967 begann, wurde ihr Dorf niedergebrannt, sie wurden zu Flüchtlingen. Mit zwölf Jahren kam Fosso zu einem Onkel nach Bangui in die Zentralafrikanische Republik. Eine Schule besuchte er nie. Statt dessen half er seinem Onkel, einem Schuster, der Damenschuhe reparierte, bei den Sohlen und Absätzen. Auf dem Weg zum Markt machte ihn ein nigerianisches Fotostudio neugierig, dort ging er einige Monate in die Lehre. Am 14. September 1975 – an diesen Tag erinnert sich Fosso genau – eröffnete er mit 13 Jahren in Bangui sein eigenes Fotostudio für Passbilder, Porträts und Hochzeitsfotos. Es hieß »Studio Photo Nationale« und hatte das Motto: »Sie werden schön, elegant, vornehm und leicht erkennbar sein.« Das Studio wurde gewissermaßen der Uterus seiner Wiedergeburt. Denn er war, erzählt Fosso, als Kind teilweise gelähmt gewesen. Er robbte mit zusammengepressten Händen und Füßen über den Boden, und seine Familie schämte sich wegen dieser Anomalie, von ihm die alle drei oder sechs Monate üblichen Kinderbilder zu machen, mit denen erste Gehversuche und Fortschritte festgehalten werden. In seinem Fotostudio wollte er all das nachholen.
So nutzte Fosso das am Ende eines Arbeitstages übriggebliebene Material der Filmrollen für Selbstporträts, die er als Lebenszeichen seiner Großmutter nach Nigeria schickte. Bei seinen Kunden bemerkte er, wie die Porträtaufnahmen deren Selbstvertrauen stärkte. Die Art, wie er eine Bühne für sie drapierte, bedeutete, »sie an Orte zu bringen, wo sie nicht hingehen. Ich bin es, der sie mit meiner Fotografie transportiert.« Samuel Fosso, ein Freiheitskämpfer mit Kamera? Bald merkte er, dass er diese Methode auch auf sich selbst anwenden konnte. So entstand seine erste Schwarzweißserie »70’s Lifestyle« (1975–1978). Es war der Beginn seiner künstlerischen Forschungsreise ins Reich der eigenen multiplen Identitäten.
Fossos weltweiter Ruhm begann mit der »Tati«-Serie 1997. Das französische Warenkaufhaus Tati lud zum 50. Geburtstag seines Bestehens die drei berühmtesten afrikanischen Fotografen – Seydou Keïta, Malick Sidibé und Samuel Fosso – nach Paris ein, um Kopien ihrer Fotostudios im Kaufhaus nachzubauen und Porträts von Kunden und aus der Nachbarschaft von Barbes zu machen. Fosso nutzte die Gelegenheit für neue farbige Selbstporträts, für die er sich vom Kaufhaus üppig ausstaffieren ließ. Er posierte als Femme Fatale, Matrose, Golfer, als »The Liberated American Woman of the 1970s« – und als »The Chief (He who Sold Africa to the Colonists)«, Fossos Lieblingsbild, das schnell ikonisch wurde.
Verletzlichkeit und Ohnmacht kommen in der Serie »Mémoire d’un ami« (2000) zum Ausdruck. Im Gefühl nackter Angst will er sich in einem Pappkarton verstecken: »Wenn ich arbeite, ist es immer eine Performance, die ich wähle, um sie zu übernehmen. (…) Ich verbinde meinen Körper mit dieser Figur, weil ich ihre Geschichte ausdrücken möchte.« Seit 2012 herrscht Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik, und nur durch einen glücklichen Zufall überlebte Samuel Fosso 2014 einen Angriff christlicher Plünderer, die sein in einem muslimischen Viertel gelegenes Studio überfallen und zerstört hatten. Fosso, der selbst kein Muslim ist, war damals gerade in Paris, seine Frau und Kinder bereits in Nigeria in Sicherheit. Zwei zufällig anwesende Fotografen, die die Unruhen dokumentierten, konnten inmitten der Schusswechsel und Granatenexplosionen die im Staub verstreuten Prints, Negative und sein Archiv retten. Alles von erkennbarem Wert war gestohlen worden. Dennoch sei Samuel Fosso ein »Afro-Optimist«, meint sein Agent und Händler Jean-Marc Patras.
Fosso steht auf den Schultern von Riesen, denen er Tribut zollt. Die Serie »Le rêve de mon grand-père« (2003) reflektiert die Erinnerung an seinen Großvater, den Dorfältesten und Naturheiler, der erfolgreich die Lähmung seiner Hände kurierte. Wäre es nach ihm gegangen, wäre Fosso ebenfalls Heiler und Ortsvorsteher der Igbo geworden. Diesen Traum des Großvaters interpretiert und materialisiert Fosso in seiner Serie: »Ich begebe mich nicht selbst in die Bilder (…) Ich leihe mir eine Identität aus.« Am kraftvollsten wirkt diese Selbstermächtigung durch die Kunst des Geschichtenerzählers in der »African Spirits«-Serie von 2008, deren Entstehung mit dem Wahlsieg des ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama zusammenfällt. Eine Hommage in 14 Schwarzweißporträts an die politischen, intellektuellen und künstlerischen Heroen der panafrikanischen Bewegung und der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Fosso inszeniert sich als Kwame Nkrumah, Léopold Sédar Senghor, Nelson Mandela oder Angela Davis, Miles Davis und Muhammad Ali. Posen und Kostümierung kopieren exakt berühmte Fotos wie Eve Arnolds beeindruckendes Porträt von Malcolm X (1961).
Geschichte in dir
Fosso ist stark beeinflusst von der Igbo-Kultur und ihrer Performancetradition mit Maskeraden und Körperkunst. In den »African Spirits« kommt das Konzept der »lebenden Toten« zum Ausdruck, die Idee, dass man seine Vorfahren – oder allgemeiner: Vergangenheit – in sich trägt, die man in der Gegenwart zur Selbstermächtigung nutzen kann. Für die Igbo erlangen diejenigen Vorfahren Unsterblichkeit und werden zu »lebenden Toten«, die ein moralisch vorbildliches und erfolgreiches Leben geführt haben. Sie sind bilingual, sprechen die Sprache der Menschen, mit denen sie bis zuletzt lebten, die Sprache der Geister und Gottes. Sie ähneln darin den katholischen Heiligen. Auch Reinkarnation (Ilo Uwa) ist zentral für die Igbo-Kosmologie. Sie zeigt sich durch Ähnlichkeiten der äußeren Erscheinung, des Charakters etc. Fosso inszeniert sich in »African Spirits« auch als sein großer malischer Fotografenkollege Seydou Keïta, der Vater der afrikanischen Fotografie. Und als Aimé Césaire, der aus Martinique stammende Poet, Politiker und Mitbegründer der »Négritude«-Bewegung, der seine Igbo-Abstammung betonte. Auch Fossos Leben hat diese politische Dimension, er möchte, »dass die Menschen sich befreien«: »Fotos sprechen nicht. Aber gleichzeitig sagen sie auch mehr als Worte. Und jeder soll entscheiden, was er sieht und was er hört.«