https://titel-kulturmagazin.net/2023/03/30/ausstellung-samuel-fosso-salzburg/
Samuel Fossos theatralische Selbstportraits sind Performance, Maskerade und Empowerment – fotografische Reinkarnation eines lebendig pulsierenden Stammbaums schwarzer Geschichte in Afrika und der Diaspora. Das Museum der Moderne in Salzburg widmet ihm eine umfassende Ausstellung. Von SABINE MATTHES
»Denn ICH ist ein Anderer. Wenn das Messing als Trompete aufwacht, ist es nicht seine Schuld.« So lautete Arthur Rimbauds Parole seiner jugendlich ungestümen Sehnsucht nach kompletter Selbstentgrenzung und Befreiung der Dichtkunst. Ähnliches gilt für den afrikanischen Fotokünstler Samuel Fosso – dem das Museum der Moderne in Salzburg eine umfassende wunderbare Ausstellung widmet. Fosso hat der langen Tradition westafrikanischer Studiofotografie einen neuen Dreh gegeben, mit seinen theatralischen Selbstportraits, seinem Rollenspiel und Verkörperung unterschiedlichster Charaktere von persönlicher oder politischer Bedeutung. Mit Maskeraden und Make-up inszeniert er sich auf der kleinen Bühne seines Studios. Explodiert, erstrahlt zu einem Feuerwerk diverser Identitäten, sprengt seine Ketten, streift die Erniedrigungen der Vergangenheit ab wie eine Schlange die alte Haut. Entpuppt sich im Kokon seines Studios wie ein Schmetterling – entfaltet ungeahnte Pracht, verspielt flamboyant imaginiert und erfindet er sich ständig neu; dermaßen beflügelt, befreit, entgrenzt ist er ermutigt, ermächtigt und global vernetzt.
Als Sohn nigerianischer Eltern wurde Samuel Fosso 1962 in Kamerun geboren, wuchs bei den Großeltern in Nigeria auf. Als der Biafra-Krieg 1967 ausbrach – Großbritannien, USA und Sowjetunion standen auf Seite der nigerianischen Regierung, während Frankreich die Bevölkerung Biafras unterstützte und aus den dort helfenden französischen Ärzten 1971 die »Ärzte ohne Grenzen« entstanden – brannte sein Dorf nieder, und sie wurden zu Flüchtlingen. Mit zwölf Jahren kam Fosso zu einem Onkel nach Bangui in die Zentralafrikanische Republik. Eine Schule besuchte er nie – sondern half seinem Onkel, einem Schuster, der Damenschuhe reparierte, bei den Sohlen und Absätzen. Auf dem Weg zum Markt machte ihn ein nigerianisches Fotostudio neugierig, dort ging er einige Monate in die Lehre. Am 14. September 1975 – diesen Tag erinnert Fosso genau – eröffnete er mit 13 Jahren in Bangui sein eigenes Fotostudio für Passbilder, Portraits und Hochzeitsfotos. Es hieß ›Studio Photo Nationale‹, hatte das Motto: »Sie werden schön, elegant, vornehm und leicht erkennbar sein« und wurde quasi zum Uterus seiner Wiedergeburt. Denn, so erzählt er, als Kind war er teilweise gelähmt, robbte mit zusammengepressten Händen und Füssen über den Boden, und seine Familie schämte sich wegen dieser Anomalie, von ihm die in Afrika alle drei oder sechs Monate üblichen Kinderbilder zu machen, wo erste Gehversuche und Fortschritte festgehalten werden. In seinem Fotostudio wollte er all das nachholen, sich Würde verleihen und beweisen, dass er normal und schön ist. Sein Großvater, ein Heiler, hatte ihn gesund gemacht, nachdem er sich vergewissert hatte, dass es eine natürliche, von Geburt an bestehende, Krankheit war und nicht eine durch Hexerei oder Fetisch hervorgerufene, die nur Gott hätte heilen können. So nutze Fosso am Ende eines Arbeitstages in seinem Studio die letzten leeren Bilder auf der Filmrolle für seine Selbstportraits, um sie als Lebenszeichen seiner Großmutter nach Nigeria zu schicken. Fosso erkannte, wie seine Portraits zum Selbstvertrauen seiner Kunden beitrugen. Die Art, wie er eine Bühne für sie drapierte, bedeutet »sie an Orte zu bringen, wo sie nicht hingehen. Ich bin es, der sie mit meiner Fotografie transportiert. Es geht darum, jemanden an einen Ort zu bringen, wo man alleine nicht hinkommt.« Samuel Fosso: ein Freiheitskämpfer mit der Kamera? Bald merkte er, dass er dies für sich selbst auch tun könnte, wendete die Kamera gegen sich und seine erste s/w Serie ›70´s Lifestyle‹ (1975-1978) entstand.
Es war der Beginn seiner künstlerischen Forschungsreise ins Reich der eigenen multiplen Identitäten, die ihn global verband, wie ein lebendig pulsierender Stammbaum, mit der Geschichte seiner afrikanischen Brüder und Schwestern auf dem eigenen Kontinent und in der Diaspora.Junge Freiwillige des American Peace Corps, die in der Zentralafrikanischen Republik Pygmäen besuchen wollten, brachten Magazine mit, die Fosso zum ersten mal in Kontakt mit Images von außerhalb des Landes brachten. Besonders begeisterten ihn Bilder und Stil der Afroamerikaner. Ebenso der populäre nigerianische Sänger Prince Nico Mbarga, dessen »Sweet Mother« damals in Westafrika der große Hit war. Fosso wollte diese zwei Stile und ihren übermütigen Spirit kopieren; er posierte im Studio mit Plateau Boots und Trompetenhosen zwischen wild tanzenden Stoffmustern arabesker Vorhänge. 20 Jahre lang performte er so im Verborgenen mit zunehmend exotischerer Verkleidung und Posen, bis ihn 1994 der französische Fotograf Bernard Descamps entdeckte und einlud zur Teilnahme an der ersten Ausgabe der »Bamako Encounters – African Biennal of Photography«. Der damalige Präsident von Mali eröffnete die Ausstellung und ermunterte ihn bei seiner wichtigen Arbeit.
Fossos internationale Karriere startete mit der ›Tati‹ Serie 1997: Das französische Warenkaufhaus Tati lud zum 50. Geburtstag seines Bestehens die drei berühmtesten afrikanischen Fotografen – Seydou Keita, Malick Sidibé und Samuel Fosso – nach Paris ein, um eine Kopie ihrer Fotostudios im Kaufhaus nachzubauen und Portraits von Kunden und aus der Nachbarschaft von Barbes zu machen. Aber Fosso nutzte die Gelegenheit für neue farbige Selbstportraits (und sich dafür reichlich vom Kaufhaus ausstaffieren zu lassen). Er posierte als Femme Fatale, Matrose, Golfer, als »The Liberated American Woman of the 1970s« – und als »The Chief (Who Sold Africa to the Colonists)«, Fossos Lieblingsbild, das schnell zu einer Ikone wurde. »Ich bin ein afrikanischer Stammesführer, auf einem westlichen Sessel mit Leopardenfellbezug und einem Bouquet Sonnenblumen. Ich bin all die afrikanischen Stammesführer, die ihren Kontinent dem Weißen Mann verkauft haben. Ich sage: wir hatten unsere eigenen Systeme, unsere eigenen Herrscher, ehe Ihr kamt. Es geht um die Geschichte des Weißen Mannes und des Schwarzen Mannes in Afrika. Auch wenn sie nun vielleicht versuchen, es zu verbergen, aber darunter ist es immer noch die gleiche Geschichte.« Fosso reproduziert damit die Geschichte der Sklaverei, des Kolonialismus und Rassismus und die Mitschuld afrikanischer Stammesfürsten. »Würdest Du in Zeiten der Sklaverei leben, müsste man Dich verkaufen, weil Du ein ziemlicher Halunke bist.« So drohte ihm seine Großmutter manchmal, denn Kindern, die ihre Eltern nicht respektierten, konnte es in der Vergangenheit passieren, an Sklavenhändler verkauft zu werden.
Ein neuer, moderner Imperialismus chinesischer Spielart überzieht heute Afrika. Mao ist sein Symbol, und Fosso reinszeniert Maos Propagandaposen in seiner Serie ›Emperor of Africa‹ (2013), um sie in einen afrikanischen Kontext zu platzieren. Er fürchtet den Ausverkauf afrikanischer Ressourcen und die Zerstörung der Umwelt, welche für zukünftige Generationen bewahrt werden müssen. »In dieser Serie ist Mao der Eroberer dieses Afrikas, in das die Chinesen nun einfallen. Es ist die Frage ökonomischer Unabhängigkeit, die erwächst nach der politischen Unabhängigkeit.«Unbill droht aber nicht nur von außen. Fosso hat miterlebt, wie sein Nachbar von plündernden Soldaten ermordet wurde. Er wachte plötzlich auf, war völlig nackt und lauschte an der Wand, unfähig zu helfen. Diese Verletzlichkeit und Ohnmacht kommt in seiner Serie ›Mémoire d´un ami‹ (2000) zum Ausdruck – aus nackter Angst und Panik will er sich in einem Pappkarton verstecken: »Wenn ich arbeite, ist es immer eine Performance, die ich wähle, um sie zu übernehmen. … Ich verbinde meinen Körper mit dieser Figur, weil ich ihre Geschichte ausdrücken möchte.“ Seit 2012 herrscht Bürgerkrieg in der Zentralafrikanischen Republik, und nur durch glücklichen Zufall hat Samuel Fosso 2014 selbst einen Angriff christlicher Plünderer überlebt, die sein Studio, in einem muslimischen Viertel, überfielen und zerstörten. Alle Bewohner waren geflohen; Fosso, der selbst kein Muslim ist, war damals gerade in Paris und seine Frau und Kinder bereits in Nigeria in Sicherheit. Zwei zufällig anwesende Fotografen, die die Unruhen dokumentierten, konnten inmitten der Schusswechsel und Granaten seine im Staub verstreuten Prints, Negative und sein Archiv retten – alles von Wert war gestohlen. Dennoch sei Samuel Fosso ein »Afro-Optimist«, sagt sein engagierter Agent und Händler Jean-Marc Patras über ihn.
Fosso steht auf den Schultern von Riesen, denen er Tribut zollt. Die Serie ›Le Reve de mon grand-père‹ (2003) reflektiert die Erinnerung an seinen Großvater, den Dorfältesten und Naturheiler, der erfolgreich die Lähmung seiner Hände kurierte. Wäre es nach ihm gegangen, wäre Fosso ebenfalls Heiler und Ortsvorsteher in der Gesellschaft der Igbo geworden. Diesen Traum des Großvaters interpretiert und materialisiert Fosso in seiner Serie: »Ich begebe mich nicht selbst in die Bilder … Ich leihe mir eine Identität aus.« Am kraftvollsten wirkt diese Selbstermächtigung durch die Kunst des Geschichtenerzählers in der ›African Spirits‹ Serie von 2008 – die mit dem Wahlsieg des ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama zusammenfällt.
Eine Hommage in 14 s/w Portraits an die politischen, intellektuellen und kulturschaffenden Heroen der pan-afrikanischen Bewegung und der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Fosso reinszeniert sich als Kwame Nkrumah, Leopold Sédar Senghor, Mandela oder Angela Davis, Miles Davis und Muhammad Ali. Posen und Kostümierung kopieren exakt berühmte Fotos, wie Eve Arnolds beeindruckendes Portrait von Malcolm X (1961). »Wenn ich einen Charakter verkörpern will, zum Beispiel Martin Luther King, dann bin ich in dem Moment nicht mehr in meinem Verstand. Zuerst versuche ich ihnen so ähnlich wie möglich zu sehen, dafür muss ich alleine sein. In dem Moment bin ich nicht mehr in meinem eigenen Verstand, ich bin im Verstand meines Subjekts. Ich vertiefe mich in sie, und wenn ich mich in sie versenke, fühle ich, dass ich wie sie aussehe, und ich finde, wonach ich in ihnen gesucht habe, und dann drücke ich auf den Auslöser, weil ich derjenige bin, der das Foto macht. Ich schaue es an, und es ist gut, und es entspricht dem, was ich möchte. An dem Punkt kommt mein Verstand zurück zu mir. … Es sind die Geschichten anderer, die ich erzähle. Ich tauche in den Spirit dieser Subjekte ein, und wenn ich fertig bin, komme ich hervor und nehme wieder meinen eigenen Spirit an. Auf diese Art portraitiere ich jede Person, die ich darstellen möchte.«
Anders als die westlichen Selbstdarstellungen einer Cindy Sherman, ist Samuel Fosso beeinflusst vom afrikanischen Geist seiner Igbo Kultur: Performance Traditionen mit Maskeraden und Körperkunst. In den »African Spirits« kommt das Konzept der »lebenden Toten« zum Ausdruck, die Idee, dass man seine Vorfahren oder Vergangenheit in sich trägt und sie verkörpern und in der Gegenwart zur Selbstermächtigung nutzen kann. Indem Fosso sich transformiert, gibt er in der Gegenwart diese Kraftquellen auch an andere weiter. In der Igbo Ontologie erlangen diejenigen Vorfahren Unsterblichkeit und werden zu »lebenden Toten«, die ein moralisch vorbildliches und erfolgreiches Leben führten. Sie sind bilingual, sprechen die Sprache der Menschen, mit denen sie bis zuletzt lebten, und die Sprache der Geister und von Gott. Ähnlich der katholischen Heiligen. Auch Reinkarnation (Ilo Uwa) ist zentral in der Igbo Kosmologie. Sie manifestiert sich durch Ähnlichkeit – wie äußere Erscheinung, Charakter und anderes. Fosso inszeniert sich in »African Spirits« auch als sein großer malischer Fotografenkollege Seydou Keita, dem Vater der afrikanischen Fotografie. Und als Aimé Césaire, aus Martinique stammender Poet, Autor, Politiker und Mitbegründer der »Négritude« Bewegung – der für sich Igbo-Abstammung reklamiert. Ob Fosso im Akt fotografischer Reinkarnation eine besondere Nähe gespürt hat?
Fosso möchte, »dass die Menschen sich befreien«, und sein persönliches Leben hat auch diese politische Dimension. Mit seiner ›Black Pope‹ Serie (2017) verbindet sich auch ein Befreiungstraum, dass es eines Tages einen schwarzen Papst geben wird. »Fotos sprechen nicht. Aber gleichzeitig sagen sie auch mehr als Worte. Und jeder soll entscheiden, was er sieht und was er hört.«| SABINE MATTHES
| Titelfoto: Samuel Fosso, African Spirits (Muhammad Ali), 2008, Silbergelatineabzug, © Samuel Fosso, Courtesy of Jean Marc Patras, Paris
Titelangaben
Samuel Fosso
Museum der Moderne/Mönchsberg Salzburg
bis 10.04.2023