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Lumumba, komm zurück!
Entwicklungshilfe, nein danke: In München tagte der dritte Panafrikanismus-Kongreß
Von Sabine Matthes *
Auf dem Rednerpult des Goethe-Forums in München stand die rot-schwarz-grüne Flagge des Panafrikanismus. Rot für die Farbe des Blutes, das Menschen für ihre Freiheit vergießen, grün für die Vegetation Afrikas und schwarz für seine Bewohner. Entworfen hat sie Marcus Garvey, der 1914 das Hauptquartier der damals größten panafrikanischen Vereinigung von Kingston, Jamaika, nach Harlem, New York City, verlegte. An Garveys Flagge, oder an die äthiopische, lehnen sich die Flaggen vieler afrikanischer Staaten an.
Der Panafrikanismus ist als Protestbewegung bereits im 17. Jahrhundert in der afrikanischen Diaspora in den USA und der Karibik entstanden – erwachsen aus den Erfahrungen von Sklaverei, Kolonialismus, Rassismus und Diskriminierung. Am vergangenen Wochenende tagte in München der dritte Panafrikanismus-Kongreß unter dem Motto »Die Herausforderungen Afrikas«.
Mit dem Furor eines Malcolm X prangerte die aus Niger stammende Aissa Halidou, Doktorandin der Universität Bremen, das »imperialistische System der Unterentwicklung« des Westens an, das via UNO und Weltbank den Verschuldungszyklus vertiefe und gegen das schlechte Gewissen »Entwicklungshilfe« zahle. Ihre Empfehlung: Raus aus den internationalen wirtschaftlichen Institutionen und: »Entwicklungshilfe: nein danke. Zunächst müssen Reparationen her!«
Auch Uche Akpulu, der in Niger als Umweltberater tätig war und als Mitbegründer des Arbeitskreises Panafrikanismus München den Kongreß mitveranstaltet hat, kritisiert die europäischen Agrarsubventionen, die den afrikanischen Binnenmarkt niederkonkurrieren. Aus Armut würden die Menschen in die Großstädte getrieben, oder zu »Wirtschafts-« und »Umweltflüchtlingen«, obwohl Afrika am wenigsten zum Klimawandel beigetragen hat. »Flüchtlingsschutz in Europa ist eigentlich Flüchtlingsabwehr geworden«, sagt Akpulu, der auch Sprecher des Bayerischen Flüchtlingsrats ist. Einige Referenten haben für den Kongreß kein Visum nach Deutschland erhalten.
»Afrika hat die Form eines Revolvers, dessen Abzug im Kongo liegt«, hatte Frantz Fanon in »Die Verdammten dieser Erde« geschrieben. Im Kongo wurde vor 50 Jahren der Hoffnungsträger und erste Ministerpräsident des Landes, Patrice Lumumba, ermordet. Der Münchner Kongreß war ihm gewidmet. Keiner seiner Mörder wurde je angeklagt, obwohl die ehemaligen Mitarbeiter des belgischen Geheimdienstes und der CIA in Thomas Giefers Dokumentarfilm »Mord im Kolonialstil« (2000) mit erstaunlicher Offenheit und Zynismus über ihre Beteiligung sprachen. Heute ist Kongo das Weltzentrum von Armut und Vergewaltigungen geworden, machte Philippe Yangala, Doktorand der Ethnologie in Frankfurt, klar. Als ihm vor Verzweiflung beinahe die Stimme versagte, fing er zu singen an, der ganze Saal erhob sich und stimmte ein: »Lumumba tu mon pere, tu est mort ... Lumumba kommen Sie bitte zurück.«
Und dann betrat tatsächlich Lumumbas Sohn Guy, der 80 Tage nach der Ermordung seines Vaters geboren wurde, als Ehrengast das Podium. Mit seinem älteren Bruder hat er in Brüssel einen Strafprozeß gegen die Belgier eingeleitet. Er erzählte davon, wie ihn seine Mutter vor dem Diktator Mobutu versteckte und wie er mit 20 Jahren nach Europa floh und dort aus Büchern erfuhr, wie sein Vater gelebt und gekämpft hatte. Wie er 2004 nach 24 Jahren Exil zurückkehrte, um als Präsidentschaftskandidat die Ideen seines Vaters umzusetzen, wie er in die Schulen ging und sie auf Flyern erklären wollte, wie er dafür festgenommen wurde und ins Gefängnis kam. Mit 6000 Euro hat er seine Freilassung bezahlt, wurde erneut verhaftet und unter Hausarrest gestellt, bis der Botschafter Frankreichs erwirken konnte, daß er den Kongo wieder verlassen durfte. Vielleicht ist Panafrikanismus in Deutschland besser möglich als im Kongo?
* Aus: junge Welt, 4. November 2011