"Menschenrechtsarbeit als "Antisemitismus" zu diffamieren, ist fatal", Interview in Rote Fahne 11/2019, 23.05.2019

https://www.rf-news.de/rote-fahne/2019/nr11/menschenrechtsarbeit-als-antisemitismus-zu-diffamieren-ist-fatal

ROTE FAHNE 11/2019

„Menschenrechtsarbeit als ‚Antisemitismus‘ zu diffamieren, ist fatal“

Sabine Matthes, Münchner Journalistin und Fotografin, engagiert sich seit Jahrzehnten unter anderem für die Rechte der Palästinenser und gegen ihre Unterdrückung durch den israelischen Staat. Sie erzählt, was sie dazu bewogen hat
Von Sabine Matthes, Münchner Journalistin und Fotografin
„Menschenrechtsarbeit als ‚Antisemitismus‘ zu diffamieren, ist fatal“
Kontrollstation in Jerusalem, 2018 Foto: RF
Rote Fahne: Sie haben kürzlich in einem Brief an Martin Hauger von der Evangelischen Kirche Deutschlands engagiert gegen seine Äußerungen in einem Interview Stellung genommen, in denen er die BDS-Kampagne mit der Kampagne der Hitler-Faschisten „Kauft nicht bei Juden!“ gleichsetzt. Er weist darin jeden Vergleich der israelischen Politik mit der des früheren rassistischen Regimes in Südafrika zurück und verortet Antisemitismus auch im „linken politischen Spektrum“. Was hat Sie zu dem Brief bewogen?

Sabine Matthes: Herr Hauger, jeder deutsche Kirchenvertreter und Christ kann Israel/Palästina besuchen – die Mehrheit der einheimischen Palästinenser aber wurde im Zuge der israelischen Staatsgründung 1948 vertrieben, enteignet, entrechtet und ausgebürgert. Sie dürfen ihre Heimat weder besuchen noch dorthin zurückkehren. Der jüdische Befreiungstheologe Marc Ellis aus den USA kritisiert, dass der jüdisch-christliche Dialog zu einem „ökumenischen Deal“ geworden ist, in dem „der Staat Israel als Sühne-Instrument fungiert“. Dieser „Deal“ wolle den Vorwurf des Antisemitismus vermeiden, verhindere aber eine klare Analyse des Konflikts und trage so zu seiner Verschlimmerung bei. Martin Haugers Interview ist ein Beispiel dafür.

Was halten Sie davon, jede Kritik an der is­raelischen Unterdrückungspolitik gegenüber den Palästinensern in die Ecke des „Antisemitismus“ zu stellen?

Die Methode, Meinungsfreiheit und Menschenrechtsarbeit zu Israel/Palästina als „Antisemitismus“ zu diffamieren, ist fatal. Sie schränkt die Pressefreiheit ein, fördert Denunziantentum – Methoden wie in der Türkei.

Jetzt beschloss sogar der Bundestag: „Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch.“ Dabei kann man auf https://bdsmovement.net/what-is-bds sehen, dass sich BDS ausdrücklich gegen Antisemitismus ausspricht und sich an der schwarzen Bürgerrechtsbewegung des ehemaligen Apartheid-Südafrika orientiert, weswegen Desmond Tutu und Angela Davis zu den Unterstützern gehören.

Was hat Sie dazu gebracht, sich für die Palästina-Solidarität zu engagieren, und worin besteht Ihrer Meinung nach die Perspektive in dieser Frage?

Mich hat eine Reportage über Matrosen vor 20 Jahren zufällig und ziemlich naiv nach Haifa gebracht. Die Erfahrung an einem Jerusalem Check Point, wo ich durchgelassen wurde, während die Palästinenser ihre eigene Stadt nicht betreten durften, hat mein Herz zugunsten der palästinensischen Sache gedreht.

Netanjahu ist immerhin ehrlich genug, zuzugeben, dass es keinen palästinensischen Staat geben wird. Man sollte ihn beim Wort nehmen und als Konsequenz, wie Nelson Mandela, gleiche Rechte in einem gemeinsamen Land fordern. Juden könnten weiterhin in Judäa und Samaria leben und Palästinenser nach Haifa und Jaffa zurück. Israel würde in den Orient integriert, und Milliarden Militärkosten können gespart und in das Land investiert werden.

Vielen Dank für das Interview!