(Veröffentlichter) Leserbrief zur Wahl in Israel, Stefan Kornelius: "Alles für die Macht", SZ vom 11.04.2019, Seite 4

Sehr geehrte Redaktion Leserbriefe,

Stefan Kornelius schreibt in seinem Beitrag "Alles für die Macht" über die Wahl in Israel: "Aber Netanjahu ist kein Ben Gurion .... Diesem Premier indes fehlt die Integrität und eine Vision, die das blanke Bedürfnis nach Stärke übersteigt." Meint er damit, dass die ethnische Säuberung unter Ben Gurion "integer" war? Unter Ben Gurion wurden 750.000 Palästinenser aus Israel vertrieben, enteignet (Absentee Property Law), entrechtet und ausgebürgert, nur 150.000 blieben. Bereits unter Ben Gurion wurden die Weichen gestellt - per Vertreibung und Apartheid-ähnlichen Gesetzen - um ein mehrheitlich arabisches Land in einen mehrheitlich jüdischen Staat zu verwandeln. Von "Integrität" kann man da ebenso wenig sprechen, wie bei den Gründervätern der südafrikanischen Apartheid, die in vergleichbarer Weise ein mehrheitlich afrikanisches Land in einen Staat der Weißen umwandelten.

Martin Buber sprach sich damals gegenüber Ben Gurion für eine Rückkehr der palästinensischen Flüchtlinge aus, im Sinne eines humanistischen Kulturzionismus. Buber, Hannah Arendt und andere Kulturzionisten waren auch für einen gemeinsamen jüdisch-palästinensischen Staat - aus Angst vor einem jüdischen Sparta, welches die Werte des Judentums verraten würde - diese Haltung spricht für "Integrität". Wäre Ben Gurion "integer" gewesen, hätte er die UNO-Resolutionen 181 und 194 umgesetzt - so, wie es die Aufnahme Israels in die UNO im Mai 1949 erwartet hatte. Stefan Kornelius fragt in seinem Beitrag: "Wird Netanjahu Regeln beugen und das demokratische System deformieren ...?" Meint er denn, Ben Gurions Vertreibung, Enteignung und Ausbürgerung der Mehrheit der arabischen Bevölkerung sei "demokratisch" gewesen? Nein, die Weichen Richtung Apartheid statt Demokratie wurden bereits unter Ben Gurion gestellt, nicht erst unter Netanjahu. "Demokratie", wie sie zwischen Einwanderern und Einheimischen im jetzigen Südafrika herrscht, ist in Israel nur mit Vertretern des Kulturzionismus zu machen, nicht mit denen des politischen Zionismus, weder linker Couleur wie Ben Gurion, noch rechter wie Netanjahu.   

Mit freundlichen Grüßen,
Sabine Matthes 
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