(Veröffentlichter) Leserbrief „Besser für die Welt“ - zu Sonja Zekri, Krieg in der Ukraine: „Deutsche Unerträglichkeit. Wagenknecht, Schwarzer, Precht und Welzer …“, SZ vom 04./05. März 2023, Seite 14

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Friedensdemo:Für den Frieden kämpfen?

Lesezeit: 6 min

Friedensdemo: SZ-Zeichnung: Karin Mihm

SZ-Zeichnung: Karin Mihm

Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer haben zur Demonstration in Berlin aufgerufen. SZ-Leserinnen und -Leser schätzen den Erfolg des Manifests der beiden Frauen unterschiedlich ein.

"Feindbilder für die Stimmung" vom 27. Februar, "Beifall von rechts" vom 25./26. Februar, "Deutsche Unerträglichkeit" vom 23. Februar:

"Ich werde nicht unterzeichnen"

Es ist ein Zivilisationsbruch, wenn Russland menschenrechtsverletzend in der Ukraine Kriegsverbrechen begeht, und diejenigen, die dieses Menschenschinden verharmlosen, müssen offen kritisiert werden. Ich gehöre zu den Menschen, die Zeit ihres Lebens friedensbewegt waren, und als Sozialdemokrat und Christ bin ich Anfang der Achtzigerjahre gegen den damals umstrittenen Nato-Doppelbeschluss auf die Straße gegangen und halte dies auch heute noch für richtig. Ich denke, dass die Sozialdemokratie auch nicht die Friedens- und Entspannungspolitik Willy Brandts, Egon Bahrs und Walter Scheels zu verleugnen braucht. Die Situation in den Siebzigerjahren war eine andere als heute, weil die damalige Sowjetunion ein Status-quo-Staat war.

Heute haben wir es mit einem aggressiven Russland zu tun, welches unter Putin zu einem imperialistischen Staat geworden ist, der sich die Unterwerfung osteuropäischer Staaten zum Ziel gesetzt hat. Das ist genau der Grund dafür, warum Friedensbewegte wohl nur mit großen Bauchschmerzen das Wagenknecht-Schwarzer-Papier, welches zumindest von einem AfD-Protagonisten nach meiner Kenntnis unterzeichnet wurde, unterzeichnen können. Ich werde es jedenfalls nicht unterzeichnen.

Zu beobachten und zu kritisieren ist auch ein Antiamerikanismus der extremen Rechten und Linken. Doch der Unterschied zwischen Russland und den USA ist ganz einfach, dass die bürgerlichen Freiheitsrechte in den USA und den Staaten des Westens vorhanden und einklagbar sind, was in der Diktatur Russland zweifelsohne nicht der Fall ist. Ein Leben in Unfreiheit wäre für mich zumindest kein lebenswertes Leben, weil es ein Vegetieren wäre, in dem man seine Persönlichkeit nicht frei entfalten könnte. Ja, es ist wichtig, dass dieser schreckliche Krieg und dieses Sterben in der Mitte Europas so bald wie möglich beendet wird. Aber, um Olaf Scholz zu zitieren, es darf keinen Diktatfrieden geben. Der Kampf für Frieden und Freiheit ist unverzichtbar, um ein menschenwürdiges Leben zu garantieren. Das ist für mich eine Gewissensfrage.

Manfred Kirsch, Neuwied

Angst vor Argumenten?

Warum lässt die Süddeutsche Zeitung keine inhaltliche Debatte über die verschiedenen Ansichten über den richtigen und möglichen Weg zu einem Frieden in der Ukraine beziehungsweise Europa zu? Beiträge, die die fortlaufenden Waffenlieferungen des Westens hinterfragen, sind nicht zu finden. Der Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer wird inhaltlich kaum diskutiert, sondern wegen der Gefahr der rechten Unterwanderung diskreditiert. Menschen, die abweichende Positionen mit guten Argumenten vortragen könnten, kommen nicht zu Wort. Ganz anders die Berliner Zeitung, die der Debatte Raum gibt. Es wird einem dort zugetraut, sich eine eigene Meinung zu bilden. In der SZ scheint man dagegen Angst vor den Argumenten der "anderen Seite" zu haben.

Achim Sommer, Berlin

An Hohn nicht zu überbieten

Viele Jahre hielt ich Sahra Wagenknecht für eine hochintelligente empathische Politikerin, wobei ich es immer als bedauerlich empfunden habe, dass diese kluge Frau ausgerechnet bei den Linken ihr Talent verpulvert. Nichtsdestotrotz verteidigte ich sie in politischen Diskussionen und vertrat viele ihrer Standpunkte. Aber in Bezug auf ihr "Manifest für Frieden", das sie zusammen mit Alice Schwarzer, die ich bis dato als glühende Feministin bewunderte, bin ich mehr als enttäuscht von beiden Frauen.

Schon die Bezeichnung, dieses Schriftstück als "Manifest für Frieden" zu benennen, ist für die Ukraine blanker Hohn. Es wird nicht klar hervorgehoben, dass Putin ein eiskalter Massenmörder ist und die eigenen Soldaten in den Tod schickt. Diesem Diktator ist die russische Bevölkerung völlig egal, er hat nur ein Ziel: die Verwirklichung seiner imperialistischen Großmachtsfantasien.

Es ist unfassbar, dass Wagenknecht und Schwarzer Putin nicht klar und eindeutig als Täter in ihrem Pamphlet anprangern. Dass beide Kriegsverbrechen wie Vergewaltigungen, Folter, Hinrichtung von Zivilisten und die Verschleppung von Kindern in ihrem Papier nicht aufführen, ist unvorstellbar. Eigentlich müssten eine Linke und eine Feministin eine Friedensdemo organisieren und Russlands Abzug aus der Ukraine fordern und die Staatengemeinschaft aufrufen, um Putin für diese Gräueltaten vor ein Kriegsgericht zu stellen, das wäre mutig, ehrlich und solidarisch gegenüber den ukrainischen Opfern.

Stattdessen verlangen sie vom Westen, der besetzten Ukraine keine Waffen mehr zu liefern, und drängen ohne konkrete Vorschläge auf Friedensverhandlungen. Das ist für mich an Hohn dem überfallenen ukrainischem Volk gegenüber nicht zu überbieten. Aber was steckt eigentlich dahinter, dass Wagenknecht bei "Hart aber fair" weiterhin auf ihre Vorschläge beharrt, obwohl Putin den aktuellen chinesischen russlandfreundlichen sogenannten Zwölf-Punkte-Friedensvertrag ausdrücklich ablehnt. Das ist für mich sehr merkwürdig. Wie viele Beweise brauchen Wagenknecht, Schwarzer und die russlandfreundliche AfD noch, um zu verstehen, dass Putin Krieg und Vernichtung und keine Friedensverhandlungen will?

Christine Pribul, Pullach

"Friedensmeute"

Beim Lesen des Artikels "Feindbilder für die Stimmung" gewann ich zunehmend den Eindruck, dass es auch den Autoren Jan Heidtmann und Boris Herrmann darum ging, ein "Feindbild für die Stimmung" zu erzeugen. Dass auch Hans-Peter Waldrich dort sprach und Erich Vad sachlich und besonnen Argumente gegen einen "Abnutzungskrieg" ohne Friedensperspektive vortrug, erfährt der Leser ebenso wenig, wie er über den substanziellen Teil der Rede von Alice Schwarzer informiert wurde. Endgültig zusammengezuckt bin ich aber, als die Autoren den Ausdruck "Friedensmeute" gebrauchten, um die Teilnehmer an der Demonstration zu denunzieren, die in Kälte und Schneesturm ausharrten, um gegen den Krieg und für den Frieden zu demonstrieren. Dafür sollten sich die Autoren entschuldigen.

Prof. em. Dr. Günter Peters, Berlin

Ein Manifest für Selbstaufgabe

Das Manifest für Frieden ist ein Manifest für Selbstaufgabe! Der Traum vom schnellen Frieden ist eine Illusion. Alice Schwarzer hat berechtigterweise für die Gleichstellung/Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann gekämpft. Frauen als Opfer mussten und müssen sich wehren und für ihre Rechte kämpfen. Für die Frauenbefreiung hat sie sich eingesetzt, die "Ukrainebefreiung" will sie einem Scheinfrieden opfern.

Nun spricht Schwarzer der Ukraine und ihren Helfern aus der westlichen Welt ihre Opferrollen und das Recht auf Selbstverteidigung ab, weil sie Krieg unerträglich findet und weil sie Angst vor weiteren Eskalationen hat. Ein unschuldiges Volk soll der Gewalt eines Aggressors geopfert und ausgeliefert bleiben? Das wäre so, als ob Schwarzer verlangen würde, dass sich unterdrückte Frauen ihren Männern, um des lieben Friedens willen, unterwerfen sollen. Und alle sollen dabei untätig zusehen. Russland hat uns alle in den Krieg hineingezogen, uns zu Opfern seiner Kriegslust gemacht. Alice Schwarzer ist, in ihrer Opferrolle gefangen, kurzsichtig geworden! Von Frieden versteht sie wenig.

Egon Hofer, Maria Saal/Österreich

Besser für die Welt

Sonja Zekri hat recht: Wagenknecht, Schwarzer, Precht und Welzer "wissen nicht, was besser für die Ukraine ist - auch wenn sie das glauben." Aber sie geben - im Sinne der Demokratie - der Mehrheit der Deutschen und der Weltbevölkerung eine Stimme, die in unseren Medien und in der Politik unterschlagen oder diskreditiert wird, und die neben der grenzenlosen Unterstützung der Ukraine begleitende Verhandlungen fordert. Auch das Strategiepapier des einflussreichen amerikanischen Thinktanks Rand Corporation diagnostiziert, dass, solange sich beide Kriegsparteien siegessicher fühlen, keine Seite zu Verhandlungen bereit sei - da der Optimismus der Ukraine allein von unserer finanziellen und militärischen Unterstützung abhängt und befeuert wird, haben wir die Verantwortung, diese an die Aufforderung an Selenskij zu binden, Verhandlungen und territoriale Kompromisse einzugehen, um die Gefahr einer Eskalation und Entgrenzung des Konflikts zu stoppen. Eine Verlängerung des Krieges sei nicht im Interesse der USA - dasselbe gilt für Europa und den Rest der Welt. Global gesehen ist es also unerheblich, "was besser für die Ukraine ist", sondern was besser für die Welt ist.

Die Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas sind bei UNO-Abstimmungen zunehmend verärgert, weil sich seit einem Jahr alles nur noch um die Ukraine dreht - obwohl die verheerenden Folgen der Klimakatastrophe in deren Ländern wesentlich mehr Opfer fordern, aber wenig Beachtung finden. Warum sollten sie Sanktionen mittragen, die ihnen selbst durch die explodierenden Lebensmittel- und Energiepreise mehr Leid zufügen als Russland? Indiens Außenminister Jaishankar erklärt, da die reichen Länder den ärmeren die teure Energie wegkaufen, seien diese gezwungen, aus Russland zu importieren, was ihnen der Westen wiederum vorwirft. Er kritisiert, dass Europa seine eigenen Probleme der ganzen Welt oktroyiert. Frau Zekri schreibt, angesichts der Millionen Flüchtlinge sei es nie so leicht gewesen, mit Ukrainern ins Gespräch zu kommen, um ihre Wünsche zu erfahren. Klar - was aber, wenn sich syrische, iranische oder palästinensische Flüchtlinge dieselbe Unterstützung wünschen?

Sabine Matthes, München